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Ressource Suchtverlagerung

Abstrakt zum 16. Bundesdrogenkongress 1993

Akzeptanz trotz Drogenfreiheit, Das Phänomen der Suchtverlagerung als individuelle Ressource zur Stabilisierung und Motivation, Glücksgefühle und Sinnfindung als zentrale Inhalte neuzeitlicher Drogenhilfe Akzeptanz Davon ausgehend, dass wir das Dogma der "suchtfreien" Gesellschaft nicht aufrechterhalten können, kann die Drogenhilfe Tolerierung süchtigen Verhaltens nicht ausklammern.

Bei vielen, vor allem langjährigen Drogenabhängigen treffen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Drogenhilfe auf manifest süchtige Strukturen. Diese werden als notwendiger Schutz vor Verletzung oder Enttäuschung und als individuelle Ressource respektiert und verstanden. Die Thematisierung und Problematisierung von Suchtverlagerungen ist hier einer restriktiven Einschränkung vorzuziehen.

Süchtiges Verhalten zu tolerieren und zur Arbeitsgrundlage zu machen heißt nicht zwingend den Begriff "Heilung" außer Kraft zu setzen. Alternative, von gegenseitigem Respekt geprägte Zugangsmöglichkeiten können die Einsicht in solche psychodynamischen Prozesse fördern, die Auseinandersetzung damit anregen und sie einem Transfer in andere, alltägliche Lebensbereiche zugänglich machen.

Die strukturellen Elemente einer Übergangswohngemeinschaft müssen Entscheidungsfreiräume für das eigene Leben in weitem Maße zulassen.

Die "innere Motivation" stellt unweigerlich die Frage nach der Sinnhaftigkeit und dem Ausfüllen der nach wenigen Tagen oder Wochen entstehenden inneren Leere.

Innere Bereitschaft und Eigenmotivation kann nur entstehen und wachsen, wenn dabei die Sinnhaftigkeit einer drogenfreien Lebensführung nicht nur aufgezeigt, sondern auch erlebbar wird. Wenige Tage nach der Entgiftung erleben die meisten Klienten und Klientinnen eine massive angstauslösende innere Leere, die nur durch das Finden von Alternativen zur Droge ausgeglichen werden kann.

Diese können darin bestehen, soziale, materielle oder ideologische Lebensziele zu finden, andere Formen der Bedürfnisbefriedigung auszuprobieren oder sich in der Gemeinschaft einen respektierten Platz zu suchen, in dem Unsicherheiten zu Sicherheiten werden und Geborgenheit und Wärme erlebt werden können.

Identität gewinnt der Drogenabhängige überwiegend aus Geborgenheit und in ausgeübter Verantwortung für sich und andere. Ist die Sinnkrise überwunden, so erlebt er sich identisch mit sich selbst. Dies ist eine wesentliche Vorraussetzung für sein berufliches, privates und gesellschaftliches Leben als sozial verantwortungsbereite und autonome Person Psychosomatische Befindlichkeit nach der Entgiftung Bei der psychosomatische Befindlichkeit nach der körperlichen Entgiftung treffen wir bei der steigenden Anzahl von polytoxikomanen Klienten und Klientinnen auf eine besonders schwierige Situation. Psychische Unruhe, Schlafstörungen, manische Depressionen, depressive Verstimmungen und allgemein schlechte körperliche Verfassung und Leistungsfähigkeit sind die anzutreffenden Erscheinungsbilder. In ihrer Ausprägung wesentlich stärker als bei monotoxischen Abhängigen.

Dies ist nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen auf eine feststellbaren Endorphinmangel bzw. einen verminderten Betaendorphinstaus bei Drogen- und Alkoholabhängigen zurückzuführen der wiederum Depressionen begünstigt.

Endorphinausschüttung bzw. ein ausreichender Haushalt muss wiederhergestellt werden.

Körperliche Leistung führt zu Endorphinausschüttung. Jeweils individuelle Höchstleistungen sind erforderlich, um einen Produktionsbeginn anzuregen. Sie ermöglichen Depressionsverarbeitung und -verdrängung, was gerade in den Zeiten von Sinnkrisen und Motivationsverminderung von wesentlicher Bedeutung ist.

Eine "legale" Ausschüttung von Endorphinen durch unterschiedliche Leistungen ist zum allgemeinen Wohlbefinden als auch dem Glücksempfinden notwendig.

Körpereigenen Endorphine, können demnach als Substitut von Drogen oder Alkohol verstanden werden. Methodisch ist von einem schnelleren Erwerb hin zu einem erarbeiteten Aufrechterhalten des Status auszugehen (kurzfristiges Erreichen z.B. über Bungee-Springen "Legal-Kick" - langfristiges Erreichen durch z.B. Tourengehen, schwere körperliche Belastung oder individueller Arbeitsleistung).

Defizitäre Betrachtungsweisen sind nicht geeignet, ungenutzte Potentiale und Ressourcen anzusprechen und zu aktivieren. Die Erforschung und Bearbeitung der Ursachen der Drogenabhängigkeit darf den Blick auf aktuelle, zur Aufrechterhaltung der Sucht beitragende Zusammenhänge nicht versperren.

Effekte der Suchtverlagerung, seien sie nun kurz-, mittel- oder langfristig sind eine Stabilisierung der Drogenfreiheit und die Energieverlagerung (Beständigkeit, Willenskraft etc.) auf andere, weniger schädigende Handlungs- und Lebensweisen.

Zunächst erkennt der Abhängige die Möglichkeit stoffungebunden andersartige Verhaltensweisen zu erkennen, und diese einzusetzen. Hierin liegt das Potential der Bereitschaft, sich auf neue Modifikationen einzulassen, wenngleich diese immer noch süchtig ausgeführt werden.

Suchtverlagerung ist immer als notwendiger Schutz vor Verletzung und Enttäuschung zu beurteilen. Um die vorhandenen Ressourcen zu erfassen, ist geboten süchtiges Verhalten zu tolerieren.

In der Suchtverlagerung können die Potentiale Einsatzbereitschaft, Willenskraft, Beständigkeit, Zielorientierung, Frustrationstoleranz etc. liegen, die für ein drogenfreies Leben ebenso unabdingbar sind.

Der Transfer von während der Drogenabhängigkeit er- und gelebten Fähigkeiten und Fertigkeiten in produktive, alternative und alltägliche Lebensbereiche ist das Ziel dieser Behandlung.

Notwendig wird die Thematisierung und Problematisierung der Suchtverlagerung deren Inhalte und Ziele, respektive der Einsicht und Auseinandersetzung in und mit solchem psychodynamischen Prozess.

Intrapsychische Prozesse und Ansätze einer Erlebnistherapie Das Scheitern vieler Drogenabhängiger am drogenfreien Leben ist sowohl im Arbeitsleben sichtbar, in der Gestaltung der Freizeit und in ihrem Beziehungsleben zu erkennen. Jedes Individuum bringt eigene Möglichkeiten, Erfahrungen von Erfolg oder Misserfolg bestimmter Verhaltensweisen mit. Diese prägen zukünftiges Verhalten in jedweder gearteten Situation. Hier treten individuelle Grenzen auf. Diese Grenzen sind die persönlich als unausweichlich erlebten Beschneidungen, die einer Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens und der Glücksfindung im Wege stehen.

Bei der erlebnisorientierten Therapie geht es darum, das in einem übersehbaren Zeitraum, Zielorientierung, Methode und Ausführung als in dependenter Beziehung stehend erkannt, und für sich nutzbar und umsetzbar gemacht werden. Diese Erleben, findet in der heutigen Gesellschaft durch deren mannigfaltigen Komponenten und Einflüssen in einer solchen klaren Weise nicht mehr statt. Da sich Identitätsbildung durch ein solches authentisches und originäres Erleben zusammensetzt, kann hier eine Persönlichkeitsentwicklung weiterverfolgt und ergänzt werden.

Glücksempfindungen oder Glücksgefühle treten nach "Mihaly Csikszentmihalyi" da auf, wo ich ein klar formulierten Ziels und durch mein persönliches Engagement überprüfbar Erreichen kann. Während der Handlung ist mein gesamtes Denken und fühlen auf dieses Erreichen ausgerichtet.

Thematisch geht es um Herausforderungen und Grenzerfahrungen die in erlebnisorientierten Aktivitäten anders als bisher bearbeitet werden können.

Inhalte werden das:

  • Erkennen subjektiver Blockaden: Psychische und physische Grenzen können neue definiert werden, Körpererfahrung kann die Leistungsbereitschaft erhöhen
  • Reflexion durch Aktion: Verhaltensänderung durch die Reflexion der veränderten Selbstwahrnehmung und des Erlebten
  • Selbstvertrauen durch Eigeninitiative
  • Das wahre eigene Ich und das des anderen werden erkenn- und erlebbar (rezeptiv)
  • Teamgeist entwickeln und Rücksichtsnahme üben
  • Durchhaltevermögen und körperliche Fitness steigern
  • Verantwortung übernehmen und Eigeninitiative entwickeln
  • Sorgfalt im Umgang mit Umwelt und Material
  • Angst bewältigen

Undogmatisches Lernverhalten fördern, welches empirisch durch Erprobung und Erfahrung auf die kooperative Beteiligung anderer angelegt ist und somit lernen als lebenslangen Prozess begreift

  • Selbstständige Gestaltung von Freizeit, Langeweile wird zur langen Weile
  • Ausdrucks- und Reflexionsmöglichkeit für momentane Situationen, Gedanken, Stimmungen und Gefühle
  • Bedürfnis nach Selbstentdeckung durch Grenzerfahrungen, nachdenken über sich selbst und Suchtverlagerung
  • Transfer der gelernten Erfahrungen zur Herbeiführung von Glücksgefühlen, Konfliktbereitschaft etc.. in alltägliche andere Bereiche.
  • Die erlebten Erfolge führen zu einer Stärkung des Selbstbewusstseins und in Folge zu einer Stärkung von Selbstwertgefühlen.

Feststellbar ist eine höhere Risikobereitschaft beim Einlassen, Ausprobieren in den Bereichen Berufsleben und Beziehung. Grundvorrausetzung sind die Erfahrungen und Erkenntnisse, die durch die Rehabilitation von Selbstwertgefühl und Selbstsicherheit (durch Fremdanerkennung und eigene Anerkennung) einen solchen Schritt zulassen.

Im Bereich des emotionalen Erlebens ist die Erfahrung "gemocht zu werden" in unmittelbaren Zusammenhang zu sehen mit der Erfahrung "sich selbst zu mögen".

Die Grenzen des zielbezogenen Selbstwertgefühls ist die Beschränktheit auf das Ziel. Somit ist die Ausdehnung auf andere Bereiche und Erfahrungen nicht möglich, solange es ohne die eigene Anerkennung der erreichten "Leistung" bleibt.

Durch Wiederholung wird das Prinzip "Leistung" (Einsatz meiner Fähigkeiten, um ein Ziel zu erreichen wird positiv erlebt) akzeptiert und führt zur intrapsychischen Anerkennung der eigenen Person.

Der Spaß an der eigenen Leistung ist dem emotionalen Selbstwertgefühl immanent, somit ist ein Transfer auf die berufliche Ebene möglich, weil Leistung als Anerkennung erlebt werden kann.

Ziel ist ein ausgewogenes Verhältnis zwischen emotionalem und zielbezogenem Selbstwertgefühl zu ereichen.

Der Transfer des zielbezogenen Selbstwertgefühls zum emotionalen Selbstwertgefühl gelingt im weiteren durch Beziehungserfahrung innerhalb der Gemeinschaft:

  • Sozialverhalten in den Aktivitäten (aktiv und passiv; Warten und Erleben von Warten)
  • Angenommen sein
  • Ernst genommen werden
  • Verstehen, Unterstützung und Verstärkung der Individualität Individuum und Gruppe

Die individuell gemachten Erfahrungen der Erhöhung von Selbstwertgefühlen und Selbstbewusstsein durch Einsatz eigener neu erkannter oder älterer nützlicher Talente und Fertigkeiten werden wie im alltäglichen Leben im Zusammenleben mit der Gruppe durch deren Realitätsbezug erweitert, erneuert, revidiert und angepasst.

Methodisch und dynamisch geschieht dies durch:

  • Gruppenselbststeuerung: Die Aktivität kann nur durch die Verantwortungsübernahme eines jeden Einzelnen für sich selbst und die Gruppe gelingen, Vertrauen kann erlebt werden
  • Ganzheitlichkeit durch Vielfalt: Aktivitäten aus unterschiedlichen Bereichen fördern die Integration physischer, psychischer, sozialer und musisch-kreativer Ressourcen
  • Reale Dramatik: Die Aktivitäten erfordern reale und wirkliche Handlungen, die direkte Konsequenzen bedingen, die Situationen sind echt und nicht künstlich aufgesetzt
  • Die Kooperation, die zum Erreichen des Ziels notwendig ist, erfordert funktionsfähige Kommunikation und die Entwicklung von Eigeninitiative
  • Vermeintlich unlösbare komplexe Aufgaben werden durch das Intellekt und die Phantasie aller lösbar
  • Toleranz kann durch die Notwendigkeit der individuellen Bedürfnisrückstellung erlernt werden (Synergie der Gruppe)
  • Kritikfähigkeit kann durch die gemeinsame Reflexion des Erlebten und Erfahrenen durch die Gruppe potenziert werden (analytisches Denken, soziale Phantasien)
  • Ökologisches Bewusstsein durch real praktizierte Umweltverträglichkeit

In der Behandlung werden durch die ganzheitliche Sichtweise physische, psychische und sozial Faktoren der Drogenabhängigkeit verbunden. Vorrausetzung bleibt, die körperliche Befindlichkeit zu stabilisieren, Anerkennung zu erfahren. Die Verbindung von Rehabilitation der körperlichen Funktionen mit dem Erleben und Erfahren von individuellen Verbesserungen psychischer Zustände und der positiven Erfahrung als soziales Wesen lässt Rückschlüsse auf folgende Erlebnisebenen zu:

  • Körperlichkeit (hier besonders der "Legal-Kick" zum Zweck der Endorphinausschüttung und die Erfahrung von physischen und psychischen Grenzen)
  • Individuum (Entwicklung von Glücksgefühlen und der damit verbunden Sinnhaftigkeit)
  • Gruppe (Fremdwahrnehmung und Konfrontation, Fremdanerkennung)
  • Kognitive Zielbestimmung
    • Konflikte aufarbeiten und bewältigen
    • Eigene Vorschläge abwägen und durchsetzen
    • In komplexen Zusammenhängen denken lernen
    • Eigene Grenzen einschätzen lernen
    • Rücksichtnahme üben
    • Leistungsbereitschaft zeigen
    • Stress und Herausforderung bewerten und bewältigen können
    • Persönliche Verantwortung für Entscheidungen übernehmen
  • Sozial-affektive Lernziele
    • Hilfsbereitschaft, Phantasie und Kreativität zeigen
    • Angst überwinden und Bedürfnisse aufschieben lernen
    • Kritik ertragen und üben können
    • Durchsetzungsfähigkeit erhöhen und Anderen zuhören können

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