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Orientierung und Motivation

Orientierung und Motivation - Grundlegende Überlegungen zur Betreuung und Behandlung jugendlicher Drogenkonsumenten - Abstrakt zur Jahrestagung der Fachkrankenhäuser für Suchtkranke und der Suchtberatungsstellen in Bayern (1994)

Motivation meint schlichtweg die Gründe menschlichen Handelns, sie bestimmt die Intensität und Zielsetzung des Verhaltens.

Der Motivation liegen zahlreiche Einzelmotive zugrunde. Diese sind auf ein bestimmtes Ziel oder auf eine bestimmte Aufgabe gerichtet und drücken die Beziehung zwischen Individuum und Umwelt aus. Die Entscheidung für ein cleanes Leben wird in der Regel nicht nur durch ein Motiv in Gang gesetzt und gehalten, sondern durch ein Mehr oder weniger vielschichtiges Motivgefüge.

Motivation kann als die Antriebsdynamik des Strebens und Wollens bezeichnet werden. Mit der Existenz von Motiven ist zugleich auch deren Qualität, Richtung und Ziel festgelegt; denn Motive sind ihrem Wesen nach zweck-, sach- und zielorientiert und bestimmen damit auch den konkreten Weg ihrer Erfüllung.

Den Begriff der Veränderungsbereitschaft kann man nicht losgelöst von der persönlichen Biographie der Klienten und Klientinnen betrachten. Sie wird sicherlich immer durch bestehende oder zurückliegende soziale Kontakte, aber auch von den Vorstellungen und den Erwartungen an die Therapie geprägt. Die Motivation zu einem drogenfreien Leben hat immer einen prozesshaften, niemals aber einen statischen Charakter. Sie ist immer ambivalent, einerseits würde er oder sie gerne weiter Drogen konsumieren, andererseits will er oder sie damit aufhören. Diese widerstreitenden Gefühle müssen bewusst werden. Dabei sind folgende Einsichten relevant:

  • "Ich habe ein Problem!"
  • "Ich kann es nicht alleine lösen!"
  • "Es gibt Alternativen!"
  • "Ich kann und will sie realisieren!".

Am Anfang einer Betreuung steht meist Orientierungslosigkeit und der Wunsch, man möge ihm oder ihr seinen oder ihren Leidensdruck abnehmen und die negativen Konsequenzen der "Suchtkarriere" mindern. Häufig wird aber auch versucht, die Verantwortung für die eigenen Schritte auf den Therapeuten oder die Therapeutin zu übertragen.

Nicht immer heißt das Ziel dauerhafte Abstinenz oder ein Leben ohne Drogen. Oftmals steht am Anfang auch der Wunsch, nach einiger Zeit kontrolliert Alkohol oder Drogen gebrauchen zu können. Dem entgegen stehen spezifische weitergehende Erwartungen der Betreuer und Betreuerinnen. Diese Diskrepanz kann, wenn es nicht zu einem behutsamen Angleichen der Ausgangsmotivationen kommt, durchaus motivationsmindernd wirken.

Zentrale Aufgabe von Jugend- und Drogenberatung ist es, Klienten und Klientinnen für eine adäquate Therapie- oder Betreuungsform zu motivieren. Probleme der Motivationsbildung sind Probleme der gesamten Betreuung und können in jedem Stadium auftreten. Motivation kann nur entwickelt oder verstärkt werden, wenn jeder und jede Einzelne die Möglichkeit zur freien Entscheidung über seinen oder ihren weiteren Lebensweg hat. Um diese Entscheidung treffen zu Können, ist die Standortbestimmung und Retrospektion auf vorangegangene Lebensabschnitte mit ihren Erfahrungen nötig.

Daher begreife ich Übergang im weitesten Sinne als einen Prozess der Orientierung zwischen verschiedenen Lebensphasen. Im Spannungsfeld zwischen Altem und Neuem bietet sie die Zeit zum Nachdenken und zur Selbstfindung, zum Abschließen alter Angelegenheiten und zum Finden neuer Perspektiven.

Innere Bereitschaft und Eigenmotivation kann nur entstehen und wachsen, wenn dabei die Sinnhaftigkeit einer drogenfreien Lebensführung nicht nur aufgezeigt, sondern auch erlebbar wird. Wenige Tage nach der Entgiftung erleben die meisten Klienten und Klientinnen eine massive angstauslösende innere Leere, die nur durch das Finden von Alternativen zur Droge ausgeglichen werden kann. 

Diese können darin bestehen, soziale, materielle oder ideologische Lebensziele zu finden, andere Formen der Bedürfnisbefriedigung auszuprobieren oder sich in der Gemeinschaft einen respektierten Platz zu suchen, in dem Unsicherheiten zu Sicherheiten werden und Geborgenheit und Wärme erlebt werden Können.

Davon ausgehend, dass wir das Dogma der „suchtfreien“ Gesellschaft nicht aufrechterhalten Können, kann die Tolerierung süchtigen Verhaltens in der Grundhaltung nicht ausgeklammert werden. Bei vielen, vor allem langjährigen Drogenabhängigen treffen wir auf manifeste süchtige Strukturen. Diese werden als notwendiger Schutz vor Verletzung oder Enttäuschung und als individuelle Ressource respektiert und verstanden. Die Thematisierung und Problematisierung von Suchtverlagerungen ist hier einer restriktiven Einschränkung vorzuziehen.

Süchtiges Verhalten zu tolerieren und zur Arbeitsgrundlage zu machen heißt nicht zwingend den Begriff "Heilung" außer Kraft zu setzen. Alternative, von gegenseitigem Respekt geprägte Zugangsmöglichkeiten können die Einsicht in solche psychodynamischen Prozesse fördern, die Auseinandersetzung damit anregen und sie einem Transfer in andere, alltägliche Lebensbereiche zugänglich machen.

Defizitäre Betrachtungsweisen sind nicht geeignet, ungenutzte Potentiale und Ressourcen anzusprechen und zu aktivieren. Die Erforschung und Bearbeitung der Ursachen der Drogenabhängigkeit darf den Blick auf aktuelle, zur Aufrechterhaltung der Sucht beitragende Zusammenhänge nicht versperren.

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