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Erlebnistherapie

Abstrakt zum 18. Bundesdrogenkongress

Unter Erlebnistherapie subsumieren wir das Erleben von legalen Kicks und von Glücksgefühlen ebenso wie das Finden konkreter Alternativen zur Droge. Übergeordnetes Ziel aller erlebnistherapeutischen Angebote ist die Sinnfindung in einem Leben ohne Drogen.

Davon ausgehend, daß normalerweise jeder Mensch in seiner Arbeit, seinen Beziehungen und in seiner Freizeit Befriedigung erlebt und dieses Erleben durch frühe Schädigungen oder durch den langandauernden Konsum psychotroper Substanzen bei Abhängigen gestört ist, muß die Drogenhilfe befriedigende Antworten auf die Sinnfrage anbieten und den oder die Abhängige dazu befähigen, selbst wieder Spaß, Befriedigung und Sinn an einem drogenfreien Leben zu erleben.

Jeder und jede Drogenabhängige kennt zum einen die euphorisierende und zum anderen die entspannende und angstmindernde Wirkung psychotroper Substanzen. In diesem Zusammenhang läßt sich Abhängigkeit einerseits als Streben nach Euphorie, andererseits als Vermeidung von dem Erleben von Sinnlosigkeit und innerer Leere verstehen. Der letztlich immer wieder fehlschlagenden Versuch, eine anfänglich durch den Konsum von Drogen erlebte Euphorie erneut zu erleben führt ebenso wie die immer stärker werdende Angst vor dem Wiederbeleben eigener Defizite, zu dem bekannten Phänomen des Wiederholungszwangs.

Das Prinzip der Erlebnistherapie greift die Sehnsucht nach euphorisierenden Erlebnissen und die Suche nach sinnstiftenden Alternativen zur Droge auf. Durch natursportliche Tätigkeiten, Interaktionsübungen und Projektarbeit vor der Haustüre oder am anderen Ende der Welt wird der ganze Mensch angesprochen, kann er oder sie Vertrauen zu sich und zu anderen finden und sich seiner oder ihrer Umwelt wieder bewußter werden. Ängste können abgebaut und bewältigt werden, er oder sie kann lernen sich anzuspannen und wieder zu entspannen und seine oder ihre Wahrnehmungsfähigkeit trainieren. Durch Grenzerfahrungen kann das Leben intensiviert, kann Inflexibles flexibel gemacht, und kann das Einlassen auf neue Situationen gefördert werden. Dabei werden soziale Gruppenprozesse ermöglicht und Probleme kreativ im Spannungsfeld von Handeln und Nachdenken gelöst. Nach jeder erlebnistherapeutischen Aktivität werden die gemachten Erfahrungen gemeinsam aufgearbeitet und deren Umsetzung in die Realität und den Alltag besprochen. Erlebnispädagogische Interaktions- und Initiativübungen ermöglichen in der Vertiefung und Nachbereitung vielfältige Möglichkeiten um die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit sowie -bereitschaft in das reale Leben zu integrieren.

Am Anfang ihres Aufenthalts in der ÜWG werden neue Bewohner und Bewohnerinnen dazu motiviert, sich an einfachen erlebnistherapeutischen Angeboten wie Bungee-Jumping oder Tandem-Fallschirmspringen zu beteiligen. Hierbei können sie, ohne den Einsatz großer persönlicher Leistung, eigene Grenzen, bislang verborgene Gefühle von Angst und Erfolg sowie legale Kicks erstmals erleben. Aufgrund der extremen Situation fällt es den Bewohnern und Bewohnerinnen leicht, die Existenz eigener Grenzen sich selbst und anderen gegenüber einzugestehen und das Gefühl von Angst auszudrücken. Trotz der starken Bezogenheit auf die eigene Person bleibt bei diesen Aktivitäten der Gruppenkontext, in dem das Erleben solidarisch geteilt werden kann, bestehen.

Im weiteren Verlauf bietet die ÜWG zahlreiche erlebnistherapeutische Aktivitäten wie Rafting, Snowboarding, Radwanderungen, Klettertouren oder Tauchgänge an. Diese Angebote setzen viel persönliches Engagement voraus. Das selbstversorgende Leben in einer kleinen Hütte oder unter freiem Himmel ermöglicht durch das Medium der konkreten Aktion neue körperliche, geistige oder seelische Erfahrungen. Dabei werden die Grenzen jedes Einzelnen sichtbar und erlebbar, gemeinsames Vertrauen zueinander wird möglich und Anforderungen an die Gruppe oder jeden Einzelnen können solidarisch gemeistert werden. Die Kraft und die Schönheit von Naturlandschaften kann von den Teilnehmern und Teilnehmerinnen als häufig neue und gemeinsame Erfahrung aufgenommen werden. Glücksgefühle werden durch das objektiv überprüfbare Erreichen eines vorher genau definierten Ziels unter dem Einsatz von Leistung erlebt. Daher ist das Prinzip „Leistung“ der Erlebnistherapie evident. In diesem Rahmen können die Bewohner und Bewohnerinnen der ÜWG ein gemeinsames Ziel, wie z.B. die Umrundung Korsikas mit dem Fahrrad, festlegen und unter Einbeziehung individueller Ressourcen oder Grenzen erreichen. Dabei kann die Fähigkeit zu Toleranz, sich durchzusetzen, Kompromisse zu schließen sowie eigene und Grenzen von anderen zu respektieren entwickelt und trainiert werden. Im Spannungsfeld von Individualität und Gruppe wird Sozialverhalten und Leistungsbereitschaft erlernt. Solche Aktivitäten stabilisieren darüber hinaus das Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen der Teilnehmer und Teilnehmerinnen.

Gänzlich fremde Lebensbereiche und -formen werden durch große Freizeiten wie z.B. einer Saharadurchquerung oder einer Kilimanjarobesteigung und durch die 1995 zu schaffenden Erlebnisgesmeinschaften erschlossen. Neben dem weiter oben beschriebenen Erleben von legalen Kicks und von Glücksgefühlen steht bei diesen erlebnistherapeutischen Angeboten das Individuum als solches und im Kontext zu seiner Umgebung im Vordergrund. Durch die katalysierende Wirkung dieser Angebote werden persönliche Stärken und Schwächen sehr schnell sichtbar und können in der Auseinandersetzung mit einer anderen Lebenswirklichkeit in das Erleben der eigenen Persönlichkeit integriert werden.

Alle erlebnistherapeutische Aktivitäten dienen dem „Leben als Erleben“ und sollen Zufriedenheit, Ausgeglichenheit, Genußhaftigkeit, Spaß sowie Sinnfindung vermitteln.

Erlebnisgemeinschaft

Die Stabilisierungsphase der ÜWG ist im Sinne einer stationären Krisenintervention ab Herbst 1995 in zwei Erlebnisgemeinschaften mit jeweils sechs Plätzen für Männer und Frauen realisiert.

Im Unterschied zu den anderen Teilen der ÜWG leben die Klienten und Klientinnen nicht in Häusern in Eglharting, sondern befinden sich zusammen mit jeweils zwei Mitarbeitern oder Mitarbeiterinnen auf einer erlebnistherapeutischen Reise. In dieser naturverbundenen Lebenswelt werden gemeinsame Erlebnisse gesammelt und reflektiert, wird nach individuellen Lebensperspektiven und den sich daraus ergebenden Perspektiven gesucht und werden tragfähige Beziehungen zu anderen aufgebaut. Die eigene Biographie kann aufgearbeitet, Überforderungen und Lebensängste abgebaut und vermieden sowie Leistungsbereitschaft, Leistungsfähigkeit und Durchhaltevermögen trainiert werden. Dadurch kann eine adäquate Hilfe zur Stabilisierung der Persönlichkeit, zu einer weitergehenden Problembewältigung und zu einer sozialen Integration gefunden werden.

Jede der beiden Gruppen bestimmt den Ort ihres Aufenthalts und die jeweiligen Aktivitäten selbst. Ziel und Inhalt der Erlebnisgemeinschaften unterliegen einem ständigen Veränderungsprozeß, somit kann gezielt auf die Bedürfnisse der Teilnehmer und Teilnehmerinnen und der Gruppe eingegangen werden. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind weitgehend in die Gruppe integriert. Sie können lediglich Gruppenentscheidungen, die sie gegenüber der Öffentlichkeit, den Kostenträgern oder Con-drobs e.V. nicht verantworten können, mit einem Veto blockieren.

Übergeordnetes Ziel dieses Angebots der ÜWG ist die kurzfristige Stabilisierung nach einer vorangegangenen Krise in einer gänzlich anderen Lebenswirklichkeit. Durch die Auseinandersetzung mit anderen Kulturen und den Gruppenmitgliedern können die Voraussetzungen für weitergehende therapeutische Maßnahmen geschaffen werden.

In die Stabilisierungsphase der ÜWG (Erlebnisgemeinschaft) können Männer und Frauen aufgenommen werden, die sich in einer akuten Krise befinden, kurzfristige und konkrete Alternativen zur Droge suchen und sich die Grundlagen für weitere psychosoziale Hilfen (Beziehungsfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl, Frustrationstoleranz, Eigenverantwortung) erarbeiten wollen.

Grundlage der Zusammenarbeit ist dabei die Bereitschaft, daß sich der oder die Betreffende zumindest auf eine kurze cleane Lebensphase einlassen möchte. Die Frage nach weiteren Perspektiven tritt hinter das Ziel einer kurzfristigen Stabilisierung zurück.

Dieses Angebot steht somit drogenabhängigen Menschen, die durch die Parallelität der Anforderungen von Beruf, Ausbildung, Schule, Wohnen, Schuldenregulierung, Freizeitgestaltung, Beziehungspflege oder ggf. Therapie überfordert sind oder keine tragfähigen therapeutischen, partnerschaftlichen oder freundschaftlichen Beziehungen aufbauen können offen. Diese Krisen und die damit einhergehenden Überforderungen lassen sich unter Aufrechterhaltung der Integration in normale Lebensbezüge oder Therapieen häufig nicht auffangen. In jedem seiner Lebensbereiche stößt der oder die Drogeabhängige dabei aufgrund seiner oder ihrer Problematik an Grenzen, erlebt Mißerfolge und reagiert entsprechend mit Rückzug, Vereinzelung, Vereinamung und Rückfälligkeit. Dabei flieht er oder sie innerlich wie auch real aus und von der Wirklichkeit.

Eine solche Krise resultiert immer aus einer mangelden Ausprägung von Identität und Persönlichkeit. Somit steht die Identitäts- und Persönlichkeitsnachbildung neben einer globalen Ziel- und Sinnfindung und der konkreten Lebensgestaltung im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen in den Erlebnisgemeinschaften. Dabei sind hochkomplexe und komplizierte Fragestellungen in Bezug auf einen sinnerfüllten Lebensentwurf unter Einbeziehung gesellschaftlicher Leistungsfähigkeit zu beantworten. Den vielschichtigen Anforderungen der Gesellschaft an ehemals Drogenabhängige können diese nur gerecht werden, wenn vorab in einem geeigneten Umfeld eine erfolgreiche Individualisierung, Sozialisation und Identitäts- sowie Persönlichkeitsnachbildung möglich war. Daher stellen die Erlebnisgemeinschaften besondere therapeutische und pädagogische Methoden zur Verfügung.

Drogenabhängige Männer und Frauen können direkt nach einer ambulanten oder stationären Entgiftung oder aber auch nach einem vorangegangenen Aufenthalt in einem anderen Teil der ÜWG, in einer anderen Rehabilitationseinrichtung oder in einer Nachsorgewohngemeinschaft in die Erlebnisgemeinschaften aufgenommen werden. Die Aufenthaltszeit in diesem Projektteil ist ebenfalls nicht begrenzt. Sie beträgt mindestens zwei Monate und kann jeweils um einen weiteren Monat verlängert werden. Damit können die Klienten und Klientinnen kurzfristig aus einer Krisen- und Überforderungssituation herausgehen, Anforderungen und Grenzen der bisherigen Lebenswirklichkeit für einen überschaubaren Zeitraum hinter sich lassen, Nähe, Geborgenheit und Wärme in Beziehungen zu anderen Gruppenmitgliedern und den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen erleben, am Modell der anderen lernen, innerhalb der erlebten „Ernst-Situation“ Ausweich- und Fluchtverhalten abbauen, das Durchhaltevermögen, die Frustrationstoleranz, die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit steigern sowie in einem neuen und unkonventionellen Rahmen für die berufliche und soziale Integration notwendige Verhaltensweisen, Fähigkeiten und Fertigkeiten erlernen, erproben und integrieren.

Die Erlebnisgemeinschaften greifen methodisch auf Elemente der weiter unten beschriebenen Erlebnistherapie zurück. Dabei steht jedoch die Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung, nicht aber das bloße Erleben von legalen Kicks, von Glücksgefühlen und von aktiver Freizeitgestaltung im Vordergrund. Authentische Erlebnisse werden instrumentell und strukturell als Gegenentwurf zu „Erlebnissen aus zweiter Hand“ angeboten. Sie bieten reale Erfahrungen und haben „Ernstcharakter“. Die damit verbundenen Aufgaben fordern Entscheidungen und adäquate Handlungen und bieten wenig Raum für Flucht- und Vermeidungsverhalten. Strukturen, Regeln, Grenzen und Anforderungen ergeben sich nachvollziehbar aus der Situation und können somit als real erlebt und angenommen werden. Probleme können im „Hier und Jetzt“ gelöst und Problembewältigunsstrategien können erlernt werden. Die Auseinandersetzung mit einem Problem, einem Dritten, anderen Gruppenmitgliedern, Mitarbeitern oder Mitarbeiterinnen ist nicht vermeidbar und stellt ein Experimentierfeld für neues Verhalten dar. Unter Anleitung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, aber auch durch andere Gruppenmitglieder kann dies zu Erfolgserlebnissen führen, wodurch sich das Selbstvertrauen, das Selbstwertgefühl und das Selbstbewußtsein nachhaltig stabilisieren und sich die Frustrationstoleranz sowie das Handlungsrepertoir erhöhen läßt.

Neben der Identitäts- und Persönlichkeitsnachbildung auf der Grundlage von Selbsterfahrung in einer anderen Lebenswirklichkeit ist der Transfer der neuen Erfahrungsinhalte in den Alltag besonders wichtig. Daher steht jedem Klienten und jeder Klientin der Erlebnisgemeinschaften die Aufnahme in einen anderen Teil der ÜWG offen. Selbstverständlich können die Klienten und Klientinnen der Erlebnisgemeinschaften nach Abschluß der Maßnahme auch im Rahmen einer intensiven ambulanten Nachsorge direkt in ihre noch bestehende Wohnung zurückkehren. In jedem Fall muß die Reflexion und das „Teilen“ der gesammelten Erfahrungen in einem betreuten Rahmen unter klaren Strukturen möglich sein.

Das therapeutische Setting in den Häusern der ÜWG in Eglharting trägt über die gezielt gestalteten Beziehungen und Bedingungen in sehr guter Weise dazu bei, daß die erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten aber auch die veränderte Identitäts- und Persönlicheitsstruktur in alltäglichen Lebensbezügen und unter „normalen“ Anforderungen übertragen, umgesetzt und realisiert werden können. Zentrale Aufgabe der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist es, Verknüpfungen und Verbindungen zwischen realen Anforderungen und erworbenen Potentialen herzustellen und somit die Angst vor einer erneuten Überforderungen durch das Zurückgreifen auf Erfahrungswissen und Handlungskompetenz aus der Klienten und Klientinnen zu verringern. Dies stützt wiederum die Identitäts- und Persönlichkeitsnachbildung, erweitert sie und ermöglicht die Entwicklung adäquater Reaktionsmuster auf gesellschaftliche Realitäten, Anforderungen, Werte und Normen.

Davon ausgehend, daß jeweils zwei Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eine Erlebnisgemeinschaft begleiten, benötigt dieser Projektteil ein jährliches Deputat von 1460 Beteuungstagen (7,7 Stunden). Die durchschnittliche jährliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten (38,5 Wochenstunden) Mitarbeiters oder einer vollzeitbeschäftigten Mitarbeiterin beträgt bereingt durch den Erholungs- (30 Tage) und Fortbildungsurlaub (10 Tage), 206 Tage bzw. 1586 Stunden.

Sieben sozialpädagogische und psychologische Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen müssen somit die beiden Erlebnisgemeinschaften betreuen. Sie wechseln sich in der Betreuung vor Ort so ab, daß jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin zwei Monate zusammen mit der Gruppe reist. Eine zeitversetzte Übergabe gewährleistet die kontinuierliche Betreuung der Klienten und Klientinnen, sodaß diese sich nach jedem Monat lediglich auf einen neuen Mitarbeiter oder eine neue Mitarbeiterin einstellen müssen.

Die mit diesem Personalschlüssel und dem verhältnismäßig hohen Aufwand für Reisekosten verbundene Höhe des Pflegesatzes ist im Vergleich und in der Alternative zu einer Unterbringung in der Psychiatrie, einem Fach- oder Allgemeinkrankenhaus oder in einer JVA vertretbar. Dabei unberücksichtigt bleibt der volkswirtschaftliche Schaden durch einen zumindest vorübergehenden Rückfall, als Folge einer nichtbewältigten Krise und einer andauernden Überforderungssituation, in die Drogenabhängigkeit, Kriminalität und Prostitution.

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