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Deeskalationsstrategien

Deeskalations-Sequenzen sind selten „aus einem Guss", sondern einen „Cocktail“ aus vielen verschiedenen Elementen. Dieser "Lösungs-Cocktail" ist nicht bewusst geplant und kontrolliert ausgeführt worden, sondern aus der Spontaneität der Pädagoglnnen heraus, für diese eine spezifische Situation entwickelt worden. Es handelt sich dabei jedes Mal um ein kleines "Kunstwerk", das in dieser und zunächst nur in dieser Situation deeskalierend gewirkt hat, aber nicht umstandslos auf andere Situationen übertragen werden kann. Trotzdem gibt es natürlich wie beim Cocktailmixen auch, gewisse feststehende Elemente, die bei Deeskalationsversuchen immer wieder neu miteinander kombiniert werden. Daher möchte ich im Folgenden solche Elemente vorschlagen.

Bedrohliche Situationen

Eine Situation eskaliert in der Regel dadurch, dass eine „rationale“ Auseinandersetzung übermäßig emotionalisiert wird. Häufig steht dabei auf Seiten der pädagogischen Fachkraft das Gefühl der Angst im Vordergrund. Dies sollten wir uns generell und vor allem in eskalierenden Situationen verdeutlichen. Daher möchte ich hier einige „angstauslösende“ Faktoren auflisten:

Angst entsteht in Situationen, in denen sich die pädagogische Fachkraft hilflos und unter Entscheidungsdruck erlebt. Dabei steht häufig die ggf. unbewusste Erwartung, dass eine Auseinandersetzung gewalttätig verläuft und außer Kontrolle gerät im Vordergrund. Der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin würde dann pädagogisch versagen, was wiederum den Entscheidungsdruck erhöht. Viele Kollegen und Kolleginnen haben selbst keine oder nur wenig Erfahrung mit körperlicher Gewalt. Dies führt zu einer erhöhten Scheu vor körperlichen Auseinandersetzungen und letztlich vor körperlichen Kontakt. 

Letztlich können Situationen, die potentiell eskalieren könnten, hinsichtlich ihrer realen Gefahr nicht richtig eingeschätzt werden. Dadurch wird dem Klienten oder der Klientin Macht zugeschrieben, die er oder sie eigentlich nicht hat. Dies führt zu der Angst, von dem Klienten oder der Klientin beherrscht zu werden. Häufig führt diese Angst zu dem Gefühl der Wut über die eigene Unzulänglichkeit und im Sinne eines Abwehrreaktion zu einer übermäßigen Abgrenzung und Strenge. Dadurch soll das in Frage gestellte Selbstvertrauen wieder hergestellt werden.

Allgemeine Strategien

Eine respektvolle Grundhaltung gegenüber einem Klienten oder einer Klientin verhindert die Eskalation von Konflikten. Je tragfähiger und stabiler die pädagogische Beziehung ist, desto eher können Krisen bewältigt werden. Der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin sollte auf Machtmissbrauch und Willkür verzichten. Vielmehr sollte er oder sie parteilich und stützend hinter seinem oder ihrem Klienten stehen.

Grenzen sind wichtig, das stupide festhalten an einmal aufgestellten Regeln kann aber auch Grenzüberschreitungen provozieren. Repressives Vorgehen, Bestrafen oder eine auf Verbote ausgerichtete Pädagogik provoziert verdeckte Aggressionen.

Aggression und Gewalt sollten nicht tabuisiert werden. Beides sind normale Gefühle und gehören existentiell zur Persönlichkeit. Daher sollte sich der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin eigene aggressive Anteile bewusst machen und diese akzeptieren. Offenheit in der Auseinandersetzung über das ganze Gefühlsspektrum wirkt präventiv. Insbesondere verdeckte aggressive Anteile auf Seiten der pädagogischen Fachkraft können hingegen sehr provozierend wirken.

Das Gleiche gilt für sog. Selbsterfüllende Prophezeiungen. Solange der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin eine gewaltsame Konfrontation mit einem Klienten oder einer Klientin erwartet, so lange besteht auch eine höhere Auftreteswahrscheinlichkeit.

Körper und Körperkontakt

Dosierter Gebrauch von Berührungen. Austarieren von Nähe und Distanz. Weiche, fließende Stimmlage, ruhige Bewegungen. Komplementäre Körperposition (d.h., sich setzen, während der andere steht etc.). Kontrolle über die eigene "Bedrohlichkeit".

Raum und Bewegung

Ausprobieren der Wirkung verschiedener Bewegungsarten: tänzerische Beweglichkeit im Raum oder feststehen wie "der Fels in der Brandung". Deutlichmachen der eigenen Erregung durch auf- und abgehen bzw. gestikulieren. Aufgreifen von Körperbewegungen des Konfliktpartners. Offenlassen von Fluchtwegen!

Verhandlungen, Kompromisse und Kontrakt

Anbieten von Aushandlungsprozessen: Nicht sofort, aber später-, nicht alles, aber ein Teil; nicht alleine, sondern gemeinsam etc. Die jeweiligen Abmachungen können durch Handschlag oder anderes Ritual besiegelt werden.

Aus dem Feld gehen

Sich und den anderen nicht unnötig unter Druck bringen. Das eigene Gesicht wahren bzw. den anderen nicht in die Enge treiben. Zeit gewinnen für eine zweite Runde" (zum Abkühlen oder Beratung holen etc.).

Humor, Witz, Selbstironie

Jede Situation enthält "unfreiwillige, komische Elemente", die es offen zu machen gilt. Dies geschieht am besten mit Hilfe schauspielerischer Fähigkeiten. Humor wirkt entkrampfend und unterbricht die Eskalationsdynamik.

Beziehung

Auf den Beziehungsaspekt des Konfliktes achten: Oft "holen" sich Jugendliche Beziehung durch Streit z.B. über Regeln. Ansprechen der im Konflikt enthaltenen Beziehungswünsche. Deutlich machen der eigenen Beziehung zum Klienten z.B. durch Verweis auf positive gemeinsame Erlebnisse oder Aktivitäten, die statt Streiten stattfinden können.

Zeit und positive Zukunftserwartungen

Die Einführung von Zeit entlastet beide Parteien: Viele Aufgaben müssen nicht sofort erledigt werden, sondern besitzen einen zeitlichen Spielraum, der ausgehandelt werden kann. Häufig hilft der Verweis auf ein positives Ereignis in der Zukunft, um die lästigen Pflichten der Gegenwart erfüllen zu können.

Selbstbetroffenheit

Offen mitteilen, wie die eigene emotionale Befindlichkeit aussieht: Erschöpfung, Ratlosigkeit, Wut, Angst, Verletztheit etc. Körperbezogene Stimmigkeit ist wichtiger als verbale Inhalte.

Überraschungen und Neudefinition der Konfliktsituation

Plötzliche und unerwartete Handlungen, die den Konfliktpartner überraschen und die Eskalationsdynamik unterbrechen können, z.B. sich einmal um die eigene Achse drehen, sich auf den Fußboden setzen, dem anderen eine Zigarette anbieten, dem anderen die Hand geben und ihn in ein Rollenspiel verwickeln, z.B. ein Kind muss nach einem Konflikt auf sein Zimmer gehen und verweigert dieses. Pädagogln definiert sich überraschend als Kellner, der dem Kind das Essen im Zimmer "servieren" möchte.

Meta-Kommentar

Beschreibung der Konfliktsituation aus der "Vogelperspektive": Die Beschreibung muss beide Konfliktparteien auf eine Stufe stellen und darf keine Abwertungen enthalten: "Jetzt sind wir zwei Dickköpfe schon wieder dabei, uns zu verkämpfen und jeder von uns ist überzeugt, dass er recht hat".

Ein "guter" Pädagoge/eine "gute" Pädagogin zeichnet sich dadurch aus, dass er/sie über ein breites Repertoire an solchen Deeskalations-Elementen verfügt und diese situationsbezogen flexibel kombinieren kann. Gerade der aggressive Konflikt und seine Steuerung ist ein Feld, in dem man niemals nur auf Wissen und geplantes bzw. kontrolliertes Verhalten setzen kann, sondern immer auch darauf vertrauen muss, dass sich bewusste und unbewusste Fähigkeiten miteinander "kurzschließen" und in eine frei fließende Kommunikation miteinander treten. Insofern geht es nicht um mechanisch erlernbare "Techniken". Die ganze Person mit all ihren Fähigkeiten ist gefordert; das Unbewusste ist dabei weniger als eine Quelle von Störungen angesprochen, sondern als ein Produzent überraschender und kreativer Lösungen.

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